Auswertung des Jahrestreffens des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. das vom 4.-6. September 2023 unter dem Titel „Provenienz4punkt0 : präsent – unabhängig – nachhaltig“ an der TU Berlin stattfand.
Der Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. ist ein gemeinnütziger Verein mit über 600 internationalen Expert*innen aus zehn Ländern (Stand Februar 2025). Er setzt sich für die beruflichen und fachlichen Interessen von Provenienzforschenden ein (vgl. Mission Statement). Das Arbeitsgebiet umfasst die Erforschung der Herkunft von Objekten in unterschiedlichen Unrechtskontexten – darunter NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter, koloniale Translokationen sowie staatliche Repressionen und Vergemeinschaftungen von Privatbesitz nach 1945. Diese Forschung folgt einem spezifischen Erkenntnisinteresse und wird sowohl in öffentlichen Einrichtungen als auch freiberuflich betrieben.
Längst bestehen intensive Kooperationen mit verschiedensten Akteur*innen, darunter Museen, Universitäten, politische Institutionen aber auch dem Kunsthandel. Dabei ist Provenienzforschung nicht nur eine historische Disziplin, sondern auch eine erinnerungspolitische Aufgabe: Wissen über Sammlungen und deren Herkunft trägt zum Erhalt und Schutz von Kulturgütern (etwa im illegalen Handel) bei, fördert die gesellschaftliche Aufarbeitung von historischem Unrecht, ist Grundlage von Restitutionen und Rückgaben und essenziell für eine transparente, verantwortungsvolle Sammlungspolitik.
In diesem hochsensiblen Forschungsfeld sind Deutungskämpfe unvermeidlich. Die Mitglieder des Arbeitskreises arbeiten in einem dynamischen politischen Umfeld, in dem Beurteilungskriterien kontinuierlich weiterentwickelt und modifiziert werden. Dieser Prozess ist konfliktträchtig, erfordert ständige Reevaluierung und darf nicht durch politische oder mediale Kurzschlussreaktionen instrumentalisiert werden.
Der Arbeitskreis vereint ein breites Spektrum an Forschungsperspektiven und Expertise und fungiert als Ansprechpartner für politische Entscheidungsträger*innen, öffentliche Einrichtungen, Gremien und Privatpersonen. Neben der fachlichen Beratung erarbeitet der Arbeitskreis praxisorientierte Handreichungen, etwa zu einheitlichen Standards im Umgang mit problematischem Sammlungsgut. Zudem bietet er eine Plattform für den internationalen Austausch zwischen Kunsthistoriker:innen, Bibliothekar:innen, Archivar:innen, Archäolog:innen, Ethnolog:innen, Historiker:innen, Sprach- und Literaturwissenschaftler:innen, Jurist:innen und Journalist:innen aus zahlreichen Ländern.
Forderungen des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V.
An die wissenschaftliche Community:
- Entwicklung und Implementierung einheitlicher Dokumentationsstandards, um Vergleichbarkeit und Transparenz zu gewährleisten.
- Klärung von Terminologien und Definitionen, um eine präzise und nachvollziehbare Kommunikation zu ermöglichen.
- Mehr Souveränität und Anerkennung der Forschung: Provenienzforschung ist – wenn auch ergebnisorientiert – eine wissenschaftliche Disziplin, die methodisch sauber und unter fairen Rahmenbedingungen durchgeführt werden muss.
- Schaffung von dezentralen Austauschplattformen für Forschungsergebnisse und methodische Diskussionen.
- Etablierung von Mentoring- und Tandemprogrammen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und zur Qualitätssicherung durch Peer-Review-Verfahren.
An Arbeit-/Auftraggebende, Institutionen und fördernde Einrichtungen:
- Mehr Rückhalt für Forschende: Die Vermittlerrolle zwischen Anspruchsberechtigten und den eigenen Auftraggeber*innen ist oft belastend. Bewertungen und Entscheidungen müssen auf den Ebenen getroffen werden, die tatsächlich entscheidungsbefugt sind.
- Deutlich mehr Transparenz im Umgang mit Forschungsergebnissen, Verfahrensabläufen und Entscheidungsprozessen.
- Stärkung der Provenienzforschung in öffentlichen Sammlungen durch faire, langfristige Beschäftigungsverhältnisse.
- Reduktion des bürokratischen Aufwands in drittmittelgeförderten Projekten und Entkopplung wissenschaftlicher Forschung von administrativen Zwängen, um unabhängige Forschung zu ermöglichen.
- Verbindliche Verpflichtung (anschub)geförderter Institutionen, die Forschungen auch nach Projektende nachhaltig fortzusetzen.
- Klare Richtlinien zur zeitnahen Publikation von Forschungsergebnissen, um deren Nachnutzung und Sichtbarkeit zu gewährleisten.
- Ausbau internationaler Kooperationen und Schnittstellen zwischen sammlungsführenden Einrichtungen und Hochschulen bei der Publikation von Forschungsergebnissen und Qualifikationsarbeiten.
- Einrichtung von regionalen Kompetenzzentren, um Expertise zu bündeln und Forschende zu vernetzen.
- Förderung nachhaltiger digitaler Infrastrukturen, die eine institutionsübergreifende Verknüpfung von Forschungsdaten ermöglichen, einschließlich der Dokumentation von Zwischenergebnissen.
- Systematische Integration von Provenienzforschung in Erwerbungsprozesse.
An die Politik:
- Wahrnehmung und Einbindung des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. in Debatten zu Provenienzforschung und Restitution, um einen faktenbasierten und ausgewogenen Diskurs zu gewährleisten.
- Klare Trennung zwischen Recherche und juristischer Bewertung, um wissenschaftliche Arbeit nicht mit politischen oder administrativen Interessen zu vermischen.
- Perspektivwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung: Der Erfolg von Provenienzforschung darf nicht allein an der Zahl identifizierter Unrechtsfälle gemessen werden, sondern an der systematischen Aufklärung unklarer Provenienzen.
- Sicherstellung einheitlicher, fachkundig erarbeiteter Bewertungskriterien für Restitutionsverfahren.
- Einrichtung einer zentralen Stelle für Erb*innen-Ermittlung, um Mehrfachanfragen zu koordinieren und Restitutionsprozesse effizienter zu gestalten.
Berlin, 11.07.2024